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Palmer: Die unglaubliche Debatte in einer verrückten Stimmung

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer provoziert mit dem N-Wort und einem Vergleich mit dem Judenstern. Der Protest dagegen ist berechtigt, fällt aber maßlos aus. Ein paar Gedanken dazu.

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Mit Palmer habe ich mich oft gestritten. In den sozialen Medien, auf der Bühne, in einem Streitgespräch für den "Spiegel". Wir haben einmal für eine Woche unsere Facebook-Seiten getauscht, um die eigene Komfortzone zu verlassen und die Bubble des jeweiligen anderen kennenzulernen. Unsere Bilanz war, nun ja, ernüchternd. Ich verfolge seine politische Arbeit in Tübingen aus der Ferne, sehe, was er Gutes für die Stadt erreicht, dafür zurecht gelobt wird und erst im vergangenen Jahr zum Oberbürgermeister wiedergewählt wurde. Ich sehe aber auch - und werfe ihm vor -, dass er immer wieder mit rassistischen Ressentiments spielt, sich bisweilen in der Wortwahl vergreift und die Kontrolle über sein ansonsten ziemlich scharfes Denken verliert.

 

An der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main sagte Palmer vergangene Woche mehreren vor dem Gebäude demonstrierenden Studenten das "N-Wort" ins Gesicht. Er sagte nicht "N-Wort", sondern sprach es mehrfach aus. Die fühlten sich dadurch provoziert und beschimpften ihn als "Nazi" und "Rassisten". Davon wiederum ließ Palmer sich dazu hinreißen, diese Empörung mit dem Anheften des Judensterns zu vergleichen. Später, während der Konferenz, an der Palmer dort teilnahm, sprach er das Wort wieder mehrfach aus. Er sagte, das Aussprechen des Wortes alleine mache noch niemanden zum Rassisten. Erst wenn man einen Menschen so bezeichne, sei das zu kritisieren.

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Ich habe mal an einer Schule aus meinem Buch "Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen - und was ich ihnen antworte" gelesen und einen Vortrag über meine Erfahrungen mit Rassismus gehalten. 600 Schülerinnen und Schüler, volle Aula, aufmerksame Stimmung. Ich sprach vom "N-Wort", und irgendwann meldete sich ein 13-Jähriger und fragte: "Entschuldigen Sie, was meinen Sie eigentlich mit 'N-Wort'?" Da stand ich nun. Was sollte ich tun? Ich fragte die Schülerinnen und Schüler, wer nicht wisse, was mit "N-Wort" gemeint sei. Etwa ein Drittel meldete sich.

 

Also sprach ich es aus und ordnete es ein, ich war ja eh schon gerade dabei. Ich erklärte, dass das ein Wort ist, mit dem Menschen lange Zeit beschimpft wurden, es ist ein abwertendes, böse gemeintes Wort. In Deutschland wurde es lange Zeit achtlos verwendet. Ich selbst bin Kind der Achtzigerjahre, wir haben damals nicht "Schokokuss" oder "Schaumkuss" gesagt. Heute wissen wir es besser. Dass es ein rassistischer, menschenverachtender Begriff ist, der schon immer Menschen verletzt hat und ja auch bewusst dazu benutzt wurde, Menschen zu verletzen. Aber jemanden fertig zu machen, als Rassisten zu bezeichnen, dem es herausrutscht oder der es ausspricht, wenn es gerade Thema ist, halte ich für absurd.

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Als ich einmal die Geschichte von der Schule und dem 13-Jährigen auf einer Bühne erzählte, sagte mir die Frankfurter Politikerin Mirrianne Mahn, ich hätte ja auch sagen können: "Feger, nur mit N." Ja, das stimmt. Kann man so machen. Meine Erfahrung ist nur, dass man ein Wort erst recht mystifiziert und andere dazu bringt, es zu Zwecken der Provokation zu benutzen, wenn man schon das reine Aussprechen zu einem bösen Akt erklärt. Ich bin davon überzeugt, dass man die gegenteilige Wirkung erzielt.

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Insofern teile ich Palmers Sichtweise, dass das Aussprechen alleine noch keinen Rassisten macht. Und ich halte es für falsch, ihn deswegen als "Nazi" und in diesem Zusammenhang als "Rassisten" zu bezeichnen. Das entwertet die Kritik an tatsächlichen Nazis und echten Rassisten. Ich verstehe auch, dass er sich gegen diese Zuschreibungen wehrt. Seinen Vergleich allerdings, das sei wie das Anheften eines Judensterns, halte ich für empörend. Das relativiert die Verfolgung von Juden und den Holocaust. Ich frage mich, weshalb selbst intelligente Menschen wie Palmer es nicht kapieren: nie, nie, nie Vergleiche mit dem Holocaust, mit dem Dritten Reich, mit Hitler. Das ist eigentlich ganz einfach.

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Dass Palmer das "N-Wort" dann allerdings so oft in den Mund nimmt, erinnert mich an Dreijährige in der Trotzphase, die es lieben, wieder und wieder "Pipikacka" zu sagen und sich darüber freuen, wenn Erwachsene sich darüber ärgern. Oder an pubertierende Jungen, die zu Frauen ausschließlich "Fotze" sagen, weil sie damit provozieren. Den Kleinkindern und den Teenagern sehe ich das, wenn auch mit erzieherischer Strenge, nach. Bei einem erwachsenen Mann, der auch noch politische Verantwortung hat, zweifle ich an seinem Verstand. Palmer rate ich schon seit Jahren dazu, sich Hilfe in Sachen Emotionskontrolle und in Sachen Kommunikation zu holen.

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Natürlich darf man jedes Wort aussprechen. Ich halte es für absurd, das Aussprechen von Wörtern grundsätzlich zum Tabu zu erklären. Eine andere Frage ist, ob es klug ist, bestimmte Wörter in den Mund zu nehmen. Ich erziehe Kinder und Jugendliche dazu, bestimmte Dinge nicht zu sagen, weil sie sich nicht gehören. Das ist wie mit den Mohammed-Karikaturen: Selbstverständlich darf man sie zeichnen und veröffentlichen. Eine andere Frage ist, ob es klug ist, ob es angezeigt ist, es zu tun. Dürfen darf man aber, und zwar immer. So wie man auch dagegen sein darf, dagegen protestieren, Abos kündigen, zum Boykott des jeweiligen Mediums aufrufen, vor der Redaktion demonstrieren kann. Aber niemals darf man deswegen jemandem physische Gewalt antun. Ausnahmslos niemals.

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Manche wenden nun ein, es gehe ja gar nicht ums Dürfen, sondern man wolle nur "zur Debatte anregen", ob man etwas solle. Nun ja. Das stimmt nicht. Weil ich, wie beschrieben, in einer Schullesung das N-Wort aussprach, nannte mich die Aktivistin Jasmina Kuhnke einen "Rassisten". Sie schrieb, ich hätte "kein Problem mit dem N-Wort" und drehte mir damit das Wort im Mund um. Sie warf mir auch "Rassismus" vor, weil ich das Adjektiv schwarz nicht groß schreibe, wie es manche Aktivistinnen und Aktivisten tun, weil sie damit ausdrücken wollen, dass "schwarz" nicht nur eine Hautfarbe sei, sondern ein soziales Konstrukt.  Jo, das sehe ich auch so. Nur schreibe ich eben "schwarze Frau", nicht "Schwarze Frau". Spätestens als Kuhnke mir "Ableismus" vorwarf, also Feindseligkeit gegenüber behinderten Menschen, weil ich jemanden "rückgratlos" genannt hatte, wusste ich: Es hat wenig Sinn, sie ernst zu nehmen. Weshalb manche Medien sie immer noch zitieren, auch jetzt, in Zusammenhang mit Palmer, ist mir ein Rätsel. Aber selbst wenn ich mit ihr noch Debatte führen wollte, auf Twitter, denn dort ist sie aktiv, wäre mir das nicht möglich - sie hat mich schon vor langem geblockt. So viel zu der Aussage, man wolle "zur Debatte anregen".

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Mein Eindruck ist, dass im - berechtigten, unbedingt notwendigen - Kampf gegen Rassismus (und gegen andere "ismen") von manchen künstliche Hürden aufgebaut werden, um sich Gegner zu schaffen, die eigentlich gar keine sind. Jede leiseste Kritik, jeden Versuch des Widerspruchs erklären sie zu Angriffen auf ihre Sicherheit und ihre emotionale Stabilität. Wie viel könnte man tatsächlich erreichen, zöge man am selben Strang? Aber ich befürchte, daran besteht bei manchen lauten Leuten kein Interesse.

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Palmer ist nun bei den Grünen ausgetreten. Ich glaube, das ist eine gute Entscheidung für alle Seiten. Für die Grünen ist es gut, weil ihnen fortan die beknackten Debatten, die er ihnen eingebrockt hat, erspart bleiben. Und für Palmer ist es okay, weil er, wie man bei den zurückliegenden Oberbürgermeisterwahlen gesehen hat, die Grünen nicht braucht. Ihm wünsche ich, dass er seine Emotionen in den Griff bekommt und nun, ohne Partei, nicht schon wieder Ausflüge in rassistische Gefilde unternimmt, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

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